Die hier geschilderte Strategie ist seit Mitte September 2012 (hoffentlich) Geschichte.
Sie sagt aber eine Menge aus über die Seriosität der jetzigen Stiftungsleitung. Sie sagt etwas aus über die Achtung, die die Stiftungsleitung der Öffentlichkeit, den Bürgern entgegenbringt, die die Millionen für die Träume der Stiftung zu erarbeiten haben, und über die Achtung gegenüber den Abgeordneten, die für die Bürger über deren Geld zu entscheiden haben.
♦♦♦♦♦♦♦♦♦
Es ist verwunderlich, dass sich 3 Monate lang niemand von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz ernsthaft mit der einfachen Forderung auseinandergesetzt hat, die sowohl von Prof. Jeffrey Hamburger in der Harvard-Petition (1.7.2012) als auch vom Verband Deutscher Kunsthistoriker (3.7.2012) formuliert wurde:
»Erst der Neubau an der Museumsinsel, dann der Umzug der Gemäldegalerie«.
Das ist doch in den Worten von Prof. Hamburger »wohl kaum ein unbesonnener Vorschlag.«
Der Grund dafür war wohl, dass die Stiftung ihre Strategie gar nicht öffentlich aussprechen konnte. Sie ging davon aus, dass die Abgeordneten einen Neubau nicht ohne Not finanzieren werden. Die Diskussion darum wird seit 1999 geführt, ohne das irgendetwas geschehen ist. Der Neubau sollte durch den zusätzlichen Druck erreicht werden, der erst durch den Auszug der Gemälde entsteht. Das konnte aber nicht offen diskutiert werden, da der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages die 10 Mio. Euro zum Umbau der Gemäldegalerie noch gar nicht freigegeben hatte, sondern »qualifiziert gesperrt« hatte.
Wie sah die Strategie der Stiftung aus?
- Das Ziel der Stiftung ist klar: Sie will mit den Alten Meistern auf die Museumsinsel und braucht dort langfristig den Erweiterungsbau. Die jetzige Gemäldegalerie wird zum Museum des 20. Jahrhunderts einschließlich der Sammlung Pietzsch. Die Neue Nationalgalerie wird frei für große Wechselausstellungen.
- Die Stiftung ist überzeugt, dass es das Geld für einen Neubau an der Museumsinsel nur geben wird, wenn die Alten Meister offensichtliche Not leiden. Die Not soll dadurch entstehen, dass die Hälfte der Gemälde und Skulpturen im Depot für Jahre unsichtbar ist und die Öffentlichkeit vehement die Präsentation der vollständigen Sammlungen fordert.
- Dann kann man zum Haushaltsausschuss gehen und fordern: »Sehen Sie, was Sie mit Ihrem Beschluss über die 10 Millionen angerichtet haben. Jetzt müssen Sie auch das Geld bewilligen, um die von Ihnen verursachten Folgen wieder in Ordnung zu bringen«.
- Die 10 Mio. Euro jetzt sollten dem schleichenden Einstieg in die Neugestaltung der Berliner Museumslandschaft durch die Hintertür dienen. Deshalb wurde im Nachtragshaushalt der Titel ›Investitionen‹ um die 10 Mio. erhöht. In den Erläuterungen heißt es harmlos »Verstärkung des Bautitels der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zur Aufnahme der Sammlung Pietzsch«, kein Wort von der Umgestaltung und dem Auszug der Gemäldegalerie. Deshalb wurde die Erhöhung erst am Abend(!) vor den Haushaltsberatungen vorgelegt. Damit sollte der Zug heimlich auf die Schiene gesetzt werden, der unweigerlich auf die hunderte Millionen Euro teure Neuordnung der Museumslandschaft zurollen sollte. (Zum Ablauf mehr → hier)
Belege für die Strategie
1. Der Generaldirektor der Staatlichen Museen Prof. Eissenhauer
In einem Brief an Max Anderson, Museumsdirektor in Dallas, abgedruckt bei der Kunsthistorikervereinigung CODART am 31.7.2012 (Zitatübersetzung und Zusammenfassungen von mir):
»Kein Politiker würde zustimmen, ein Museum zu finanzieren, um eins zu ersetzen, das vor weniger als 15 Jahren eröffnet wurde.«
Deshalb ist der Druck durch die jetzigen Pläne nötig. (5. Absatz des Briefs)»Sollte sich die deutsche Regierung dazu entschließen, ihre Unterstützung zurückzuziehen und den Umbau der Gemäldegalerie fallen zu lassen, hätte dies katastrophale Folgen.«
Denn alles würde auf ewig so bleiben wie es jetzt ist. (7. Absatz. Die Strategie bricht zusammen, wenn die gesperrten 10 Mio. Euro nicht freigegeben werden)→ CODART (Der Brief wurde auch geschickt an Prof. Rick Asher von der University of Minnesota, veröffentlicht am 24.7.2012 in in einer internen Kunsthistoriker-Mailingliste der Princeton University, caah@Princeton.EDU, etwa 850 Abonnenten)
2. Der Präsident der Stiftung Prof. Parzinger
Interview mit Karoline Kuhla in Cicero Online (4.7.2012):
»Es ist natürlich einfach zu sagen: Ihr habt das Gebäude nicht, also darf nichts begonnen werden. Wer alles auf einmal haben will, wird nichts bekommen.«
»Nein, die verdichtete Präsentation im Bode-Museum wird nichts sein, was man sich auf Dauer vorstellen kann, das werden auch die Politiker merken. (…) Es wird also auf keinen Fall ein Dauerzustand werden, auch weil nicht nur wir, auch die Öffentlichkeit es immer wieder anmahnen werden.«
→ Cicero Online
Im Berliner TAGESSPIEGEL schon am 19.5.2012(!) schreibt Peter von Becker zur Situation des Kulturforums:
»Präsident Parzinger sagt: ›Mir wäre es am liebsten, wenn wir in der heutigen Gemäldegalerie die neue Galerie des 20. Jahrhunderts mitsamt den Sammlungen Marx und Pietzsch 2015/16 eröffnen könnten.‹ Und die Gemäldegalerie am Kupfergraben? ›Wir wollen die alten Meister natürlich nicht auf Jahre wegsperren‹, meint Parzinger. ›Dazu müssen wir nun stärkeren Zeitdruck aufbauen, aber der Bund weiß im Grunde, dass er mehr dazugeben muss.‹«
→ Tagesspiegel (über 3 Wochen vor dem Beschluss des Bundestages)
Noch im Septemberheft 2012 des Cicero bekräftigt er seine Ansicht, dass man nicht abwarten dürfe:
»Ich wage vorauszusagen: Wenn dieser große Plan jetzt scheitert, dann ist er für immer gescheitert.«
→ Cicero
3. Der Berliner Kulturstaatssekretär André Schmitz (stellvertretender Vorsitzender des Stiftungsrates der SPK)
In der ZEIT vom 12.7.2012:
»Und ich bin sicher, dass die Abwesenheit von Botticelli und Rubens, Tizian und Dürer so viel Druck aufbaut, dass der Erweiterungsbau schneller kommt als gedacht.«
→ ZEIT
In TV-Berlin am 19.7.2012:
»Gerade auch der Druck, den die Öffentlichkeit macht und sagt ›Wir wollen alle unsere Alten Meister sehen‹ wird die Verhandlungen im Parlament, denke ich, befördern. Ich will mich jetzt nicht auf Jahreszahlen festlegen, aber ich glaube, durch diesen Umzug wird dieser Plan schneller realisiert, als wenn wir nicht umziehen.«
→ TV Berlin (im Video ab 0:30)
4. Der ehemalige Generaldirektor der Staatlichen Museen (bis 2008), Peter-Klaus Schuster
Er hat die Idee der ›Rochade‹ 1999 geboren, ist aber 2005/6 am Widerstand der Museumsdirektoren gescheitert.
In der WELT vom 11.8.2012:
»›Erst ein neuer Ort für die Alten Meister‹, mit dieser fürsorglichen Formel wird der Rochade zugestimmt, um sie in Wahrheit zu verhindern. Aber wenn man die Alten Meister wirklich wieder an dem ihnen einzig angemessenen Ort auf der Berliner Museumsinsel haben will, dann muss man (…) ins Risiko springen.«
» Nur mit heftigstem und dauerhaftem Protest, der uns ganz deutlich macht, wie großartig und einzigartig die Berliner Sammlungen sind, und zwar die Gemäldegalerie ebenso wie die Skulpturensammlung, wird diese Rochade zum guten Ende kommen.« (drittletzter Absatz, Unterstreichung W.G.)
5. Eine klare externe Stimme: Prof. Stefan Braunfels
Am klarsten hat die Strategie der bekannte Berlin/Münchener Architekt Prof. Stefan Braunfels in einer Flut von Leserbriefen ausgesprochen. Er ist der Schwager von Prof. Eissenhauer [1,2].
In der Süddeutschen Zeitung am 26.7.2012:
Druck aufbauen
Der Umzug der Sammlung Alter Meister aus der Leere des Kulturforums auf die boomende Museumsinsel ist seit vielen Jahren vorgesehen. Da das Bode-Museum für diese Sammlung zu klein ist, wird dort seit langem ein Erweiterungsbau geplant. Wenn dieser Umzug nun stattfinden soll, bevor der Erweiterungsbau errichtet ist (weshalb zunächst nur die Spitzenwerke der Sammlung im Bode-Museum gezeigt werden können), so ist dies ein sehr geschickter Schachzug, den Erweiterungsbau rascher zu erzwingen. Die meisten Kritiker erkennen das offenbar nicht – oder wollen es nicht erkennen. Dabei ist alles doch ganz offensichtlich: Der Plan, das Bode-Museum zu erweitern, um die große Sammlung Alter Meister auf die Museumsinsel zu holen, würde sich um Jahre, wenn nicht Jahrzehnte verschieben, wenn der Druck jetzt nicht ganz groß gemacht würde – schließlich wurde die James Simon Galerie von Chipperfield gerade erst begonnen, der Umbau des Pergamonmuseums aber noch nicht, genau so wenig wie der Neubau des Schlosses.
(ähnlich am 9.7.2012 in Berliner Zeitung, am 12.7.2012 in Berliner Morgenpost, am 15.7.2012 im Tagesspiegel)
Das Eingeständnis des Scheiterns der Strategie
Die Strategie ist aufgeflogen dank der weltweiten Proteste gegen das skandalöse Handeln der Stiftungsleitung und vor allem wohl dank der Aufmerksamkeit von Frauen und Männern des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages. Sie haben gerochen, dass etwas faul war an dem harmlos klingenden Antrag auf 10 Mio. Euro für die Aufnahme der Sammlung Pietzsch und deshalb eine Haushaltssperre verhängt und sie haben angefangen, harte Fragen zu stellen.
Aufgrund der weltweiten besorgten Proteste hat die Stiftung am 11.9.2012 einen kleinen Rückzieher gemacht: Es soll mit dem 10 Mio. vom Bundestag eine Studie des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung finanziert werden, die bis zum Frühjahr 2013 neben der Option 1
1. »Erst der Umzug, dann irgendwann der Neubau«
auch die Optionen prüfen soll:
2. »Erst der Neubau, dann der Umzug«
3. »Kein Umzug, sondern Neubau für die Moderne am Kulturforum«.
4. Unterbringung von Teilen der Moderne in bereits bestehenden Liegenschaften.
Mehr darüber in der → Chronik.
20.10.2012