Eine Geschichte der Alten Meister in Berlin von Mitte der neunziger Jahre bis heute aus der Sicht eines zeitungslesenden Angestellten
Der Sinn dieser Chronik ist es, Aussagen überprüfen zu können wie:
- »Die Pläne der SPK für eine solche Rochade sind wohl durchdacht und seit Jahren sowohl in der Öffentlichkeit als auch bei den Gremien der SPK bekannt.« (Presseerklärung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz SPK vom 4.7. [1])
- »Wir haben den Masterplan von 1999 immer verfolgt.« (Herr Eissenhauer, Generaldirektor der Museen der SPK [2])
- »Verlässlichkeit, Planbarkeit und Berechenbarkeit der Stiftung halte ich für einen der größten Trümpfe und für eine der größten Stärken der Stiftung.« (Herr Eissenhauer, [3, S. 6])
Eine Übersicht:
→ 1997: Skulpturengalerie Dahlem schließt
→ 1998: Gemäldegalerie am Kulturforum eröffnet
→ 1999: Der Masterplan Museumsinsel wird beschlossen
→ 1999: Herr Schuster hat einen Traum, unter dessen Folgen wir heute noch leiden
→ 2000-2005: Der Traum wird zum dumpfen Albtraum
→ 2003/2005: Sammlung Bollert zieht nach München, das Ägyptische Museum zieht aus
→ 2005: Die Bedrohung wird stärker – und dann verstummt Herr Schuster
→ 2006: Bode-Museum eröffnet als Skulpturensammlung integriert mit Gemälden
→ 2007/2008: Viele neue Leute
→ 2009/2010: Herr Pietzsch lockt und möchte die Moderne in der Gemäldegalerie sehen
→ Ende 2010 bis Sommer 2012: Der Schenkungsvertrag wird unterzeichnet – Wohin mit der Sammlung?
→ Juni 2012: Nachtragshaushalt, Sperre, Presseerklärung und der lokale Jubel
→ Juli 2012: Dreimal »Rettet die Gemäldegalerie«, Petition und Offener Brief
→ September 2012: Der teilweise Rückzieher der Stiftungsleitung …
→ … und die Reaktionen darauf
→ Anfang 2013: Staatsminister Neumann schliesst Option »Erst Auszug, dann Neubau« aus …
→ Mai 2013: … aber ist er nach Verschiebung der Studie noch an der Entscheidung beteiligt?
Was hoffentlich klar werden wird: Es gab nicht die Pläne der Stiftung.
Es geht um die Häuser, die heute am Kulturforum zu sehen sein sind: Gemäldegalerie, Neue Nationalgalerie und, meist vergessen, Kunstgewerbemuseum und Kupferstichkabinett. Die Diskussionen um den richtigen Ort der Sammlungen dort waren bis heute ein großes Hin und Her, um nicht von Chaos zu sprechen. Dabei kann man von der Stiftung nur sprechen, wenn man so tut, als seien nur der jeweilige Museums-Generaldirektor und der jeweilige Präsident die Stiftung. Es geht hier um das Schicksal der Alten Kunst – da stellen die Direktoren der betroffenen Museen einen wesentlichen Teil der Stiftung dar. Und was die Fachleute zu sagen hatten und haben, wird hoffentlich deutlich werden.
Was hier überhaupt nicht vorkommt, ist das Engagement von Museumsleuten, die hinter den Kulissen ihre Kontakte genutzt haben. So frage ich mich, wie es 2005/2006 gelungen ist, das Zusammenpressen von Gemälden und Skulpturen im Bode-Museum vor der Eröffnung zu verhindern?
1997: Skulpturengalerie Dahlem schließt
Der Westberliner Teil der Skulpturengalerie in Dahlem schliesst und es kümmert niemanden sehr, außer Sebastian Preuss [1]. Er schreibt auch: »Die Bestände im Bode-Museum sind seit Jahren nur noch unvollständig, zur Zeit gar nicht mehr zugänglich. (…) 1999 soll die vereinigte Skulpturengalerie im Bode-Museum wiedereröffnet werden.«
1998: Gemäldegalerie am Kulturforum eröffnet
Helle Begeisterung allerorten. Sie ist wahrscheinlich das beste im 20. Jahrhundert gebaute Museum für Alte Meister weltweit. Zusammenfassend schrieb Petra Kipphoff in der Zeit eine Woche nach der Eröffnung [1]:
Das große Glück der Berliner Gemäldegalerie ist ein ungeteiltes und offensichtlich befreiendes Erlebnis. Noch nie hat es eine so einmütig enthusiasmierte Berichterstattung gegeben.
Und der Berliner Kunstgeschichtsprofessor Horst Bredekamp, ein Befürworter des Umzugs an die Museumsinsel, sagt während des Museumsstreits 2012 [2]:
Gemessen am Verhältnis von Quantität und Qualität ist die jetzige Gemäldegalerie ein Idealmuseum, die vielleicht beste Gemäldegalerie überhaupt. Großartig, wie man sich hier in tiefer Kontemplation vor die Werke begeben kann.
1999: Der Masterplan Museumsinsel wird beschlossen
Anfang Juni wurde der Masterplan Museumsinsel vom zuständigen Gremium der SPK, dem Stiftungsrat beschlossen. Er geht über die Sanierung der 5 Einzelhäuser der Insel hinaus und beinhaltet vor allem:
- Die Untergeschosse der einzelnen Gebäude werden verknüpft und als Raumsequenz gestaltet (Archäologische Promenade)
- Ein neues Eingangsgebäude entsteht auf der Freifläche vor dem Neuen Museum.
- Die Verwaltungs-, Depot- und Werkstattflächen werden in die ehemalige Friedrich-Engels-Kaserne ausgelagert, die neu als »Museumshöfe« bezeichnet wird (gegenüber vom Bode-Museum).
- Nord- und Südflügel des Pergamonmuseums werden durch einen vierten Flügel am Kupfergraben verbunden, so dass ein Rundgang möglich wird.
- Die Freianlagen werden wiederhergestellt und aufgewertet.
In 10 Jahren soll alles fertig sein und mindestens 2 Milliarden DM kosten, verteilt auf jeweils 200 Mio. Mark pro Jahr.
Eine ausführliche Darstellung DES »Masterplans Museumsinsel« von 1999 findet sich auf der Seite des Bundesamtes für Bauwesen und Raumforschung (BBR), der ehemaligen Bundesbaudirektion [1]. Diese Fachleute haben den beschlossenen Masterplan in die bauliche Realität umzusetzen.
Ende Juli tritt Peter-Klaus Schuster das Amt des Generaldirektors der Museen als Nachfolger von Wolf-Dieter Dube an. Er war einige Jahre Direktor der Nationalgalerie gewesen, danach ein kurzes Jahr Generaldirektor an den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen in München.
1999: Herr Schuster hat einen Traum, unter dessen Folgen wir heute noch leiden
Am 9. Dezember verkündet er am Ende eines langen Interviews in der ZEIT eine Vision, wie die Museumsinsel im nächsten Jahrtausend aussehen könnte. U.a. sagt er [1]:
»Man könnte dann, im Bodemuseum, die Anwendung der antiken Pathosformel in der abendländischen Malerei und Skulptur erleben. Unten Spätantike, Byzanz und das Mittelalter, darüber Renaissance, Skulptur und Gemälde (…) Dann ginge man über den Kupfergraben, hätte das 17. und 18. Jahrhundert in einem Neubau auf der anderen Seite, genau parallel zum Bodemuseum, auf dem Kasernengelände«.
Und zum Kulturforum:
»Im Bau der Gemäldegalerie könnte die Kunst des 20. Jahrhunderts zu sehen sein (…) Und man hätte den Bau von Mies van der Rohe, die Neue Nationalgalerie, als Ausstellungshaus. Das könnte ein Szenario sein. Aber noch einmal: die Museumsinsel zuerst, also in zehn Jahren. Alles andere später.«
Wolf-Dieter Dube, sein Vorgänger und Förderer fragt: »Welches Pathos ist denn da gemeint? Doch nicht das wilhelminisch-gründerzeitliche oder das nationale?« [2]
Jan Kelch, der Direktor der Gemäldegalerie, hat Déjà-vu-Erlebnisse und erinnert sich an die Kämpfe nach der Wende. Damals ging es darum, die Gemäldegalerie an der Museumsinsel zu bauen, statt das Geld am Kulturforum auszugeben. Er sagt dazu: »Das, was Schuster jetzt zur Politik macht, haben wir damals gewollt und kriegten Disziplinarmaßnahmen angedroht.« [3]
(Anmerkung: Damit sollen angeblich auch heute noch Mitarbeiter der Stiftung zum Schweigen gebracht werden.)
Der Direktor der Antikensammlung, Prof. Wolf-Dieter Heilmeyer, wirft Schuster unverblümt vor, eine »Schnapsidee« zu verfechten .[3]
Zu dem Riesenaufwand, der in die gerade 1 Jahr alte Gemäldegalerie gesteckt worden ist, sagt Herr Schuster ein paar Tage später: »Die Seidenwände rollen wir einfach ein, sie können im Bodemuseum wieder verwendet werden. Das ist kein Problem.« [4]
Der Präsident der Stiftung, Klaus-Dieter Lehmann stimmt seinem Museeumschef zu: »Ich war seit Sommer an allen Gesprächen hierüber beteiligt.« Und: »Erst nach zehn Jahren plus x wird der Umzug der Gemälde überhaupt diskutiert werden können.« [4]
Die Idee, in der fernen Zukunft auf die Museumsinsel zurückzukehren, stößt auf breite Zustimmung, ist aber nie beschlossen worden. – Die Vision Herrn Schusters wird Masterplan II getauft. Als Folge wird der gerade beschlossene ›Masterplan Museumsinsel‹ oft als Masterplan I bezeichnet.
2000 – 2005: Der Traum wird zum dumpfen Albtraum
Ein Jahr später, Ende 2000, berichtet Sebastian Preuss: Jan Kelch, der Direktor der Gemäldegalerie, habe
»gerüchteweise von Schusters Absicht erfahren, die Gemälde und Skulpturen schon 2005 oder 2006 im dann sanierten Bodemuseum zusammenzuführen. Was dort nicht mehr hineinpasst, soll anscheinend provisorisch im Obergeschoss des Alten Museums gezeigt werden.« [1]
Ein viertel Jahr später, Anfang Februar 2001, beschreibt Henning Bock die Bedrohung. Er war der Vorgänger Jan Kelchs als Direktor der Gemäldegalerie (bis 1996). Nikolaus Bernau berichtet über seine ›veritable Anklage‹ unter Titel »Der Mann mit dem Goldhelm soll nicht ins Depot« [2]
»Bock, sein Nachfolger Jan Kelch und der Direktor der Skulpturensammlung Arne Effenberger befürchten, dass Schuster nicht abwartet bis zum Neubau, sondern die Gemäldegalerie vorfristig ausziehen soll.«
»Hier aber ist (…) zu wenig Platz für die Sammlungen. Bock befürchtete gar, dass die Hälfte der Rembrandt-Gemälde im Depot verschwinden müsse, da in den Altbauten nur 550 Bilder gezeigt werden könnten. Doch selbst bei realistischer Einschätzung können maximal die Hälfte der derzeit ausgestellten alten Gemälde noch gezeigt werden, und die einzigartige Skulpturengalerie müsste stark verkleinert werden.«
Das Gerücht bleibt. Zum 5-jährigen Jubiläum der Gemäldegalerie schreibt Sebastian Preuss 2003 [3]:
»Hartnäckig hält sich das Gerücht, Schuster plane nach Kelchs Pensionierung im nächsten Jahr eine provisorische Unterbringung der Gemäldegalerie, um den Bau am Kulturforum einer Berlin-Version der ›Pinakothek der Moderne‹ zuschlagen zu können. Wohl zu Recht sind Kelch, seine Kollegen und auch der Kaiser-Friedrich-Museums-Verein, dem einige der Hauptwerke gehören, höchst beunruhigt. Sie möchten auch ins Stadtzentrum ziehen, lehnen aber eine unwürdige Interimslösung strikt ab.«
2004 wird Prof. Bernd. W. Lindemann Nachfolger von Herrn Kelch. Er ist ein großer Befürworter des Umzugs und der gemeinsamen Präsentation von Gemälden und Skulpturen, aber auch er sagt mehrfach (noch am 11.9.2010) sinngemäß: »Zuerst muss der Platz da sein, dann erst können wir umziehen.«
2003/2005: Sammlung Bollert zieht nach München, das Ägyptische Museum zieht aus
Es bestand für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz die Chance, eine ganz bedeutende Privatsammlung spätgotischer Skulptur zu erwerben, die Sammlung Bollert. Sie war und ist in ihrem Bestand ein letztes Dokument einer durch Wilhelm von Bode geprägten Sammlerkultur. Im Jahr 2000 hatte die Stiftung sie in einer hoch gelobten Ausstellung am Kulturforum gezeigt [1].
Gescheitert ist der Erwerb nicht am Geld, das die Erben für einige Spitzenstücke forderten, sondern an einer anderen Forderung: »Die Kollektion Gerhart Bollerts sollte ihrem Charakter als Privatsammlung entsprechend in einem eigenen, nach dem Sammler benannten Raum als Ganzes ausgestellt werden.« [2]
Dies passte wohl nicht in den Traum Generaldirektor Schusters, Gemälde und Skupturen integriert im Bode-Museum zu präsentieren. Die bereitstehenden Gelder der Kulturstiftung der Länder wurden nach München umgeleitet. Die Direktorin des Bayerischen Nationalmuseums in München, die sich sehr um die Sammlung bemüht hatte, konnte sich bei der Eröffnung der Bollert-Räume in ihrem Museum Ende 2005 freuen [3]:
»Die Sammlung Bollert ist die einzige noch bestehende private Mittelaltersammlung. Deshalb zeigen wir die Sammlung geschlossen als Kulturdokument.«
Die Gründe der Verantwortlichen der Stiftung mögen nachvollziehbar sein. Aber auffallend ist der Kontrast zu dem Verhalten, wenn es um Sammlungen modernerer Kunst der Nationalgalerie geht. So hat man der zweitklassigen [4] Surrealisten-Sammlung Scharf-Gerstenberg den ganzen extra umgebauten Stüler-Bau des Ägyptischen Museums in Charlottenburg 2008 zur Verfügung gestellt. Dessen Sammlung (einschließlich Nofretete) musste ab 2005 zuerst provisorisch untergebracht werden, bis dann 2009 angemessener Raum für die verdrängte Ägyptische Sammlung im Neuen Museum bereit stand.
Nikolaus Bernau zog ein Fazit zum Scheitern des Erwerbs der Sammlung Bollert [5]:
»Generaldirektor Peter-Klaus Schuster lässt zwar für Sammler moderner Kunst – Scharf, Marx, Flick – immer neue Hallen und Museen frei räumen. Doch um die Museen alter Kunst kümmert er sich kaum.«
Wenn man damals eine Sammlung Bollert nach München ziehen ließ, wäre es dann so furchtbar, wenn man heute eine Sammlung Pietzsch nach Dresden ziehen ließe? Wie sagte der Stiftungspräsident Klaus-Dieter Lehmann, der Vorgänger Hermann Parzingers, damals [6]:
»Entscheidend bleibt, dass die Sammlung öffentlich zugänglich bleibt und nicht auseinandergerissen wird.«
2005: Die Bedrohung wird stärker – und dann verstummt Herr Schuster
Am 31. März 2005, 10 Monate nach der Pensionierung von Jan Kelch und etwa 1 Jahr vor der Neueröffnung des Bode-Museums, sagt Peter-Klaus Schuster in einem F.A.Z.-Gespräch unter dem witzigen Titel »Wir sind keine wankelmütigen Visionäre« [1]:
»Vor der Eröffnung des Pergamonmuseums war das Bodemuseum sechsundzwanzig Jahre lang räumlich völlig auskömmlich für die Gemäldegalerie. Das könnte auch heute – für eine bestimmte Frist – wieder gelten. Natürlich kann ich den Direktor der Gemäldegalerie verstehen, der einer temporären Verkleinerung skeptisch gegenübersteht. Da müssen Kompromisse gefunden werden.«
Eduard Beaucamp wird grundsätzlich (F.A.Z., 6.5.2005):
»In Berlin ist eine Kulturrevolution im Gange. Die keineswegs alten, sondern immer jungen ›Alten Meister‹ geraten in Bedrängnis. Sie räumen am Kulturforum das Haus einem hier nicht ebenbürtig gesammelten zwanzigsten Jahrhundert und werden in der Stadt zusehends überblendet von der Überpräsenz der Zeitgeist-Boheme und den Plantagen einer zweifelhaften und wetterwendischen Sammlerkunst. Man vergleiche die Lobbys: den mächtigen, gesellschaftlich tonangebenden ›Verein der Freunde der Nationalgalerie‹ und den ehrwürdigen, aber heute eher schmächtigen ›Kaiser Friedrich-Museums-Verein‹, dem viele Meisterwerke zu verdanken sind. Wäre in Paris, London oder Madrid eine solche Umwertung denkbar?«
Der zerrissene Direktor der Gemäldegalerie, Herr Lindemann sagt ein halbes Jahr später offen [2]:
»Ich bin in der Situation eines Hundes, der einen prächtigen Knochen im Maul hat, einen anderen sieht und den ersten verliert, weil er nach dem zweiten schnappt. Die Gemäldegalerie ist hier am Kulturforum, was das Gebäude betrifft, optimal untergebracht. Auch die Besucherzahlen sind nicht schlecht: Wir hatten 2004 über 300 000 Besucher. Die Gefahr besteht darin, dass wir den hiesigen Standort aufgeben müssten und dafür – solange nur das Bodemuseum zur Verfügung steht – keinen adäquaten Ersatz auf der Museumsinsel bekommen. Am Kulturforum zeigen wir 1500 Bilder; im Bodemuseum bekommen wir nur 400 Bilder unter. Auf diesen Zustand dürfen wir uns nicht einlassen, sonst taumeln wir in eines der für Berlin charakteristischen Provisorien, das möglicherweise über Generationen Bestand hat.«
Zwei Wochen danach kann man in der Welt anlässlich des Bauabschlusses im Bode-Museum offene Sätze von Herrn Effenberger und Herrn Lindemann lesen [3]:
»›Momentan gilt der Beschluß, daß die Gemäldegalerie nicht vom Kulturforum wegzieht, bevor nicht ein Erweiterungsbau auf dem Kasernengelände steht. Der wird vor allem vom Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz mitgetragen‹, sagt Lindemann.
Effenberger glaubt allerdings nicht, daß die Eröffnungspräsentation lange unverändert bleiben wird. Zu stark sei der Wunsch des Generaldirektors, die Gemäldegalerie am Kulturforum freizuräumen. ›Vielleicht hält Schuster eine Schamfrist bis Sommer 2007 ein. Dann gehe ich in Rente‹, sagt Effenberger. Lindemann hält solche Prognosen für äußerst unsicher. Er werde die 150 bis 200 Bilder, die die neue Ausstellung der Skulpturen ergänzen werden, ins Bodemuseum bringen, aber niemals die Gemäldegalerie. ›Daß es die Gerüchte schon so lange gibt, aber nichts passiert, zeigt doch, daß die Pläne nicht durchsetzbar sind‹, so Lindemann.«
2006: Bode-Museum eröffnet als Skulpturensammlung integriert mit Gemälden
Helle Begeisterung allerorten. Die Skulpturensammlung war fast 10 Jahre lang zu großen Teilen im Depot. Einzelstücke wurden in der Gemäldegalerie und im Liebieghaus in Frankfurt gezeigt. Einige kleinformatige Werke waren im Kunstgewerbemuseum, Elfenbeine in Braunschweig und Darmstadt ausgestellt. Um die berühmten Riemenschneider der Sammlung zu sehen, konnte man 1999/2000 nach New York oder Washington fliegen, wo sie in Ausstellungen bewundert wurden [1].
Nun endlich ist alles in wunderbarer Schönheit zu sehen. Neil MacGregor, Direktor des British Museum schreibt [2]:
Die Ausstellungsobjekte sind beispiellos. … Das Ergebnis ist die größte und umfassendste Präsentation europäischer Skulptur. … Auf Schritt und Tritt begegnet der Besucher Meisterwerken und kann Bekanntschaft mit ihnen schließen. Denn jedes Objekt ist so geschickt plaziert, daß der Betrachter eine wunderbare visuelle und emotionale Beziehung herstellen kann. … Das Ergebnis ist ein unaufdringlicher Triumph: Alle Aufmerksamkeit richtet sich auf den Kunstgegenstand. Arne Effenberger und seine Mitarbeiter haben unsere Glückwünsche und unseren Dank verdient.
Angereichert ist die Präsentation mit 150 Bildern, zum größten Teil aus der Studiengalerie und den Schätzen, die im Depot der Gemäldegalerie schlummern mussten. Die Museumsleute bezeichnen diese integrierte Präsentation von Skulpturen und Gemälden als »Bode light«.
Vergessen werden häufig – aber nicht vergessen werden dürfen – die hochklassige Sammlung frühchristlich-byzantinischer Kunst wie die Schauräume des Münzkabinetts, die Teil der Präsentation des Bode-Museums sind..
Was bei aller Freude ängstlich stimmt, ist die Tatsache, dass kaum jemand in Berlin die Sammlung vermisst hat in all den Jahren der Verbannung ins Depot und der Ausweichquartiere für einige Highlights .
Und was traurig stimmt, ist der relativ geringe Zuspruch, den dieses Museum auf der Museumsinsel findet, trotz der integrierten Präsentation der Gemälde. Und das, obwohl es Jahr für Jahr durch sanfte Änderungen immer schöner und stimmiger wird. Aber das ist leider das Schicksal aller ähnlicher Museen, sei es der Bargello in Florenz oder die Skulpturenabteilung des Louvre.
2007/2008: Viele neue Leute
Die Aufgaben von Herrn Effenberger als Direktor von Skulpturensammlung und Museum für byzantinische Kunst werden 2007 vom Direktor der Gemäldegalerie, Herrn Lindemann mit übernommen. Der Leiter des Bode-Museums unter ihm wird Julien Chapuis, der 1999/2000 die schöne Riemenschneider-Ausstellung in New York und Washington mit großzügigen Leihgaben der für Jahre geschlossenen Skulpturensammlung veranstaltet hat.
Der Archäologe Prof. Hermann Parzinger löst im Frühjahr 2008 Klaus-Dieter Lehmann als Generaldirektor der Stiftung ab. Der Direktor der Museen in Kassel Michael Eissenhauer löst im Herbst 2008 Peter-Klaus Schuster als Generaldirektor der Museen ab, dessen Traum, wie Herr Lehmann seine Amtszeit zu verlängern und dann das Neue Museum eröffnen zu können, sich damit auch nicht erfüllt. Gleichzeitig war Herr Schuster auch Direktor des Einzelmuseums Nationalgalerie. Dessen Direktor wird im Winter 2008 Udo Kittelmann.
2009/2010: Herr Pietzsch lockt und möchte die Moderne in der Gemäldegalerie sehen
Im Juni 2009 wird die Neue Nationalgalerie mal wieder frei geräumt, diesmal für eine große Ausstellung der Surrealisten der Privatsammlung Pietzsch: »Bilderträume«. Heiner Pietzsch gehörte 1977 mit dem Rechtsanwalt Peter Raue zu den 7 Gründern des Vereins der Freunde der Nationalgalerie und war bis in die 90er Jahre dessen Schatzmeister. Die Eröffnungsrede der Ausstellung hält Kulturstaatsminister Neumann. Herr Pietzsch stellt eine Schenkung in Aussicht, aber wohin mit den Bildern?
Heiner Pietzsch favorisiert das Projekt einer Galerie des 20. Jahrhunderts, angesiedelt im Haus der jetzigen Gemäldegalerie. (…) Der Umzug der Alten Meister auf die Museumsinsel würde endlich auch ihren angestammten Zusammenhang mit den Skulpturen im Bode-Museum wiederherstellen. Und der Mies-Bau könnte ausschließlich als Ausstellungspalais dienen. [1]
In der Stiftungsleitung herrscht aber im Moment eine besonnene Phase. Man konzentriert sich auf das Machbare: Herr Eissenhauer und Herr Parzinger wollen die bestehenden Museen am Kulturforum stärken. Herr Eissenhauer sagt in einem Gespräch mit der BZ (16.8.2009) [2]:
»Wir brauchen in Berlin, wo die Moderne erfunden wurde, eine dauerhafte Galerie des 20. Jahrhunderts. Und zwar in der Neuen Nationalgalerie, einer Architektur-Ikone des 20. Jahrhunderts.«
»Im Moment ist niemandem verständlich zu machen, für 50 Millionen eine neue Gemäldegalerie bauen zu wollen, und für den Umbau der alten 20 Millionen zu brauchen. Die Gemäldegalerie wird daher auf absehbare Zeit nicht auf die Insel umziehen.«
Im Tagesspiegel (20.8.2009) wird sein Chef, Herr Parzinger, dazu zitiert [3]:
»Hermann Parzinger gab seinem Museumschef Rückendeckung und meinte, es sei gegenwärtig ›vordringlich, die Gemäldegalerie an ihrem derzeitigen Standort zu stärken‹.«
Auch Udo Kittelmann, der Direktor der Nationalgalerie und Macher der Pietzsch-Ausstellung, möchte die Neue Nationalgalerie mittelfristig in einen »Tempel der Klassischen Moderne« umfunktionieren, nicht in ein Ausstellungshaus, denn es gibt unter der Terasse noch bauliches Potential für eine Erweiterung [4]. Aber Herr Pietzsch macht immer wieder sein langfristiges Ziel deutlich [5]:
»Die unterirdische Erweiterung darf nur eine vorübergehende Lösung sein. Berlin braucht ein neues Haus für die Kunst des 20. Jahrhunderts, z.B. in der Gemäldegalerie, darin könnte auch unsere Sammlung gezeigt werden. Wenn man das bis 2020 festschreiben könnte, wäre das gut.«
Die Neue Nationalgalerie soll Ausstellungshaus werden, denn [6]:
»Der Verein der Freunde der Nationalgalerie hat dort rund 17 Millionen Euro an Überschuss durch Ausstellungen in den letzten zwanzig Jahren gemacht. (…) Das Geld würde bitter fehlen. Und wenn Geld fehlt, gibt es weder Bilderkauf noch Ausstellungen.«
Die unterirdische Erweiterung der Nationalgalerie ist aber im Sommer noch Politik der Stiftung. Am 9.6.2010 hat Herr Parzinger einen zweistündigen Auftritt im Kulturausschuss des Deutschen Bundestages, der von der Berliner CDU-Abgeordneten Monika Grütters geleitet wird. Laut Wortprotokoll dieser Sitzung sagte Herr Parzinger [8]:
Vor der Eröffnung 1968 »wurde um ca. 1.300 m² größer gebaut. Dann hat man diese Bereiche verfüllt, weil die Sammlungen nicht so groß waren. Für uns wäre es jetzt natürlich ideal, diese Bereiche freizuräumen.« (S. 6)
Zur Gemäldegalerie: »Wir haben um die 300.000 Besucherinnen und Besucher im Jahr. Das ist mehr als im Hamburger Bahnhof. (…) Es gibt innen eine großartige Architektur. Dort hat man immer das Gefühl, mir geht es selber so, als wäre man alleine oder jedenfalls mit ganz wenig Leuten dort. Das hängt mit dieser kabinettartigen Struktur zusammen. Wie gesagt, die Besucherzahlen sind nicht schlecht.« (S. 16)
»Wir können nicht alle 30 Jahre die Museen abreißen und neue bauen, weil sie uns nicht gefallen.« (S. 17)
Ende 2010 bis Sommer 2012: Der Schenkungsvertrag wird unterzeichnet – Wohin mit der Sammlung?
Eduard Beaucamp schreibt am 3.9.2010 in der F.A.Z. zu neuen Gerüchten über den Umzug der Gemäldegalerie ins Bode-Museum:
»Man kann gar nicht laut genug warnen, um die drohende, barbarische Eindampfung einer Gemäldegalerie von Weltrang zu verhindern.«
Dem widerspricht Gemäldegalerie-Direktor Lindemann am 11.9.2010 in einem Leserbrief:
»Die Gemäldegalerie wird in der Tat das Kulturforum erst verlassen, wenn eine angemessene Heimstatt im Kontext mit der Museumsinsel bereitsteht; es besteht keineswegs die Absicht, sie allein im Bode-Museum ›einzudampfen‹.«
Am 17. Dezember 2010 wird feierlich der Vertrag über die Schenkung der Sammlung Pietzsch im Roten Rathaus Berlins unterzeichnet. Den Vertrag hat der Ex-Vorsitzende des Vereins der Freunde der Nationalgalerie, der Staranwalt Peter Raue für seinen langjährigen Schatzmeister Heiner Pietzsch ausgehandelt. Es geht um 150 Objekte, meist Bilder, aber auch Grafik und Skulpturen. Der Vertrag wird nicht veröffentlicht. Die Sammlung soll dem Land Berlin geschenkt werden, nicht der Nationalgalerie der Staatlichen Museen. Das Land Berlin überlässt dann die Sammlung als Dauerleihgabe der Nationalgalerie. Der Grund für diese Konstruktion laut Anwalt Peter Raue [1]: »Das hat steuerliche Gründe. Die nach dem Tode der Eheleute anfallende Erbschaftssteuer wird (…) erlassen.«
Bemerkenswert ist, dass das Ehepaar Pietzsch kein Geld, kein eigenes Museum, nicht einmal eigene Räume gefordert hat – im Gegensatz zur Sammlung Berggruen oder zur Sammlung Scharf-Gerstenberg. Die Schenkung wird gültig, wenn 2 Bedingungen erfüllt sind:
- Das Ehepaar Ulla und Heiner Pietzsch ist gestorben (geb. 1934 und 1930)
- Es werden Ausstellungsflächen geschaffen, die es ermöglichen, ständig signifikante Teilung der Sammlung Pietzsch im Zusammenhang mit der Sammlung der Neuen Nationalgalerie zu zeigen.
Vom Freiräumen der 1.300 m² Erweiterungsfläche, die Mies van der Rohe in der Neuen Nationalgalerie vorgesehen hatte, ist nicht mehr die Rede [2]. Danach ist ein Jahr Ruhe in den Medien, abgesehen von Home-Stories über das plötzlich berühmte Ehepaar Pietzsch.
Weihnachten 2011 appelliert der Berliner Regierende Bürgermeister Wowereit an die Stiftung, endlich für eine Präsentation der Sammlung zu sorgen, die ja dem Land Berlin geschenkt werden soll. Dazu der Präsident der SPK:
Hermann Parzinger, der Präsident Stiftung Preußischer Kulturbesitz, erklärte am gestrigen Donnerstag, man bemühe sich um die Schaffung einer ›Galerie des 20. Jahrhunderts‹ am Kulturforum, um die eigenen Bestände mit der Sammlung Pietzsch und der Sammlung Marx zu vereinen. Dafür müsse die Gemäldegalerie umgerüstet und das Bode-Museum auf der Museumsinsel für die alten Meister aus der Gemäldegalerie einen Erweiterungsbau bekommen – mit Hilfe privater Mittel. Man suche intensiv nach Sponsoren und sei mit dem Ehepaar Pietzsch in ständigem Kontakt. [3]
Mitte Mai 2012 nennt Herr Parzinger erstmals öffentlich Jahreszahlen. Im Berliner Tagesspiegel vom 19.5. schreibt Peter von Becker in einem Artikel zur Situation des Kulturforums [4]:
»Präsident Parzinger sagt: ›Mir wäre es am liebsten, wenn wir in der heutigen Gemäldegalerie die neue Galerie des 20. Jahrhunderts mitsamt den Sammlungen Marx und Pietzsch 2015/16 eröffnen könnten.‹ Und die Gemäldegalerie am Kupfergraben? ›Wir wollen die alten Meister natürlich nicht auf Jahre wegsperren‹, meint Parzinger. ›Dazu müssen wir nun stärkeren Zeitdruck aufbauen, aber der Bund weiß im Grunde, dass er mehr dazugeben muss.‹«
Diese Äußerung lässt den Schluss zu, dass Herr Parzinger etwa einen Monat vor den Haushältern des Bundestages wusste, dass der Umbau des Hauses der Gemäldegalerie und der Auszug der Sammlung fest geplant war, bezahlt von wem auch immer. Die Stiftung hatte wohl vorgehabt, den Umbau aus eigenen Mittel zu finanzieren [5]..
Juni 2012: Nachtragshaushalt, Sperre, Presseerklärung und der lokale Jubel
Der Nachtragshaushalt 2012 war vor allem nötig geworden wegen der Milliarden für die ESM-Finanzinstitution im Rahmen der Eurokrise.
Am 12.6. findet die entscheidende Sitzung des Haushaltsausschusses statt, am 14. soll der Bundestag abstimmen. Am Abend des 11.6.(!) bekommt der Haushaltsausschuss einen Antrag auf Erhöhung des Etats von Kulturstaatsminister Neumann um 10 Mio. Euro für die Stiftung auf den Tisch [1]. Im Bericht des Ausschusses ist verharmlosend die Rede von »Verstärkung des Bautitels der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zur Aufnahme der Sammlung Pietzsch«, kein Wort vom Umbau der Gemäldegalerie und dem Auszug der Alten Meister [2]. Die aufmerksamen Frauen und Männer des Haushaltausschusses sperren diese Schnellschuss-Erhöhung erst einmal [Süddeutsche Zeitung, 28.6.]. »Die Aufhebung der Sperre bedarf der Einwilligung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages« [3].
Dieser 12. Juni ist ironischerweise der 14. Geburtstag der Gemäldegalerie am Kulturforum. An diesem Tag werden plötzlich hektische Aktionen nötig. »Ausgelöst hatte die eine CDU-Abgeordnete des Bundestages, die in Berliner Zeitungsredaktionen anrief, um freudig mitzuteilen, dass der Haushaltsausschuss gerade zusätzlich zehn Millionen für die Gemäldegalerie bewilligt habe.« »Überrascht vom Zeitpunkt der Veröffentlichung waren sowohl der Kulturstaatsminister als auch die Preußenstiftung. Denn eigentlich wollte man den Erfolg selbst verkünden, wahrscheinlich bei einem gemeinsamen Pressetermin mit dem Sammlerehepaar Pietzsch« [4].
An diesem 12.6. sieht sich nun Herr Neumann veranlasst, eine Presseerklärung herauszugeben mit dem Titel »Berliner Museumslandschaft: Sammlung Pietzsch zieht ans Kulturforum« [5]. Hier ist nun die Rede vom »ersten Schritt einer geplanten Neuordnung der Berliner Museumslandschaft«, dem Eindampfen von Gemäldegalerie und Skulpturensammlung im Bode-Museum und dem erträumten Neubau:
»Langfristig (deutlich nach 2018) soll in einem Galerieneubau auf den Museumshöfen neben dem Bode-Museum neuer Raum geschaffen werden, um die Werke der Alten Meister im bisherigen Umfang zu präsentieren.«
Am 14.6. beschliesst der Bundestag den Nachtragshaushalt »in der vom Haushaltsausschuss geänderten Fassung« [6].
(Eine detaillierte Schilderung der Geschehnisse um den Bundestagsbeschluss und der aufkommenden kritischen Fragen aus dem Bundestag gibt es auf der Seite: Der Bundestagsbeschluss über 10 Millionen zum Umbau der Gemäldegalerie.)
An diesem 14.6. erscheinen 2 kurze Artikel, die aber klar benennen, welche ungeheuerlichen Konsequenzen sich für die Alten Meister aus der Presseerklärung von Herrn Neumann ergeben (Andreas Kilb in der F.A.Z. [7] und Nikolaus Bernau in der Berliner Zeitung/FR [8])
In den sonstigen Berliner Zeitungen Welt [9], Tagesspiegel [10] und Morgenpost [11] herrscht der Jubelton vor: Hurrah, Berlin auf dem Weg zur Welthauptstadt der Moderne, die Alten Meister bekommen endlich den ihnen gebührenden Platz auf der Insel, alle Probleme stehen kurz vor der Lösung.
Herr Parzinger schreibt ähnliches und wirft weitere Nebelkerzen in der Welt [12]. Er verspricht: So »wird die Museumsinsel zu einem veritablen Berliner Louvre!« Und der Neubau? »Wer dies aber zur Bedingung macht, verspielt alles.« Mehr sagt er dazu nicht.
Der Staranwalt Peter Raue, Gründer und langjähriger Vorsitzender des finanzkräftigen Vereins der Freunde der Nationalgalerie, führt seine Rechenkünste vor [13] und befiehlt zum Schluss: »Welt-Kunst-Stadt Berlin! Berlin freue dich!« [14]
Sonst herrscht über 2 Wochen schockierende Grabesstille im deutschsprachigen Feuilleton.
Juli 2012: Dreimal »Rettet die Gemäldegalerie«, Petition und Offener Brief
Aber dann (nur eine Auswahl), bemerkenswerterweise alles Quellen außerhalb des verbandelten Berliner Beziehungsgeflechts:
- Do 28.6.: Schlagzeile »Rettet die Gemäldegalerie« (Hanno Rauterberg in der Zeit) [1]
- Fr 29.6.: Schlagzeile »Rettet die Gemäldegalerie« (Niklas Maak in der F.A.Z.) [2]
- So 1.7.: Prof. Jeffrey Hamburger (Harvard) beginnt seine Petition an Prof. Parzinger auf Change.org [3]
- Di 3.7.: Der Verband Deutscher Kunsthistoriker unter Prof. Satzinger startet seinen Offenen Brief an Kulturstaatsminister Neumann [4]
- Do 5.7.: Schlagzeile »Rettet die Gemäldegalerie« (Prof. Willibald Sauerländer in der Süddeutschen Zeitung)
- Sa 14.7.: Schlagzeile »Berlin, schau auf deine Alten Meister!« (Eduard Beaucamp in der F.A.Z.) [5]
Die beiden pensionierten Museumsdirektoren, die erfolgreich Widerstand gegen Herrn Schusters Albtraum geleistet haben, äußern sich: Prof. Jan Kelch unterzeichnet am 2.7. die Hamburger-Petition mit dem Kommentar:
»An die Fraktion der Moderne in Berlin: Dummheit kommt vor den Fall!!«
Prof. Arne Effenberger unterzeichnet die Petition am 4.7. mit dem Kommentar:
»Die aberwitzige Idee, die Gemäldegalerie auf unabsehbare Zeit in das Bode-Museum zu verfrachten, geht ebenso – und das sollte nicht übersehen werden – zu Lasten der Skulpturensammlung und des Museums für Byzantinische Kunst! Es darf daran erinnert werden, daß das Bode-Museum erst 2006 mit einer Neupräsentation der über 40 Jahre getrennten und nicht weniger bedeutenden Sammlung europäischer Skulpturen eröffnet worden war!«
Jan Kelch kann um die Zeit noch den Offenen Brief des Verbandes Deutscher Kunsthistoriker als 284. (von über 8.000) unterschreiben. Danach werden keine Äußerungen von ihnen mehr öffentlich. Prof. Dr. Rudolf Preimesberger, Vorstandsmitglied des Kaiser-Friedrich-Museums-Vereins unterzeichnet den Offenen Brief als 1064. In der Unterzeichnerliste muss man Namen von Mitarbeitern der Staatlichen Museen Berlin mit der Lupe suchen, im Gegensatz zu einer Fülle von Mitarbeitern der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten und anderer Museen in Deutschland. Warum? – Es gibt das Bonmot, dass es kein Zufall sei, dass die SPK für den Chef der Museen die Bezeichnung »General«-Direktor gewählt habe.
September 2012: Der teilweise Rückzieher der Stiftungsleitung …
Die weltweiten Proteste haben einen ersten Erfolg: am 11. 9. gibt die Stiftung eine Presseerklärung heraus, die im Kern besagt, dass doch zuerst eine Studie durchgeführt werden soll, die im Frühjahr 2013 vorliegen soll [1]. Sie soll jetzt auch die Forderung der Petition und des Offenen Briefes prüfen! Die Petition von Prof. Hamburger haben zu diesem Zeitpunkt über 13.000 Bürger, den Offenen Brief des Verbandes Deutscher Kunsthistoriker über 8.000 Bürger weltweit unterschrieben.
»In der Machbarkeitsstudie werden auf der Basis der bisherigen langjährigen Planungen folgende Optionen geprüft«:
- Die Forderung der Gegner: Erst Fertigstellung des Neubaus gegenüber Bode-Museum, dann der Umzug der Gemäldegalerie.
- Die alte Absicht der SPK: Umbau der Gemäldegalerie zu einem Museum des 20. Jahrhunderts und Eindampfen von Teilen der Gemälde und Skulpturen im Bode-Museum bis zur Fertigstellung eines Erweiterungsbaues.
Das Ziel der Stiftung bleibt: Gemäldegalerie auf die Museumsinsel, Kulturforum für die Moderne. Aber trotzdem soll auch etwas neues untersucht werden:
»Unbeschadet davon werden dennoch die Möglichkeit und Realisierbarkeit eines Neubaus für die Kunst des 20. Jahrhunderts am Kulturforum unter Verzicht eines Umzugs der Alten Meister sowie die Unterbringung der Sammlung Pietzsch und von Teilen der Sammlung der Neuen Nationalgalerie in bereits bestehenden Liegenschaften der SPK in die Machbarkeitsstudie einbezogen.«
Bezahlt werden soll die Studie mit den 10 Mio. Euro vom Juni. Durchgeführt werden soll sie von den Baufachleuten des BBR, des Bundesamtes für Bauwesen und Raumforschung. Sie haben die gesamten Baumassnahmen des Bundes in Berlin nach der Wende und alle großen Baumaßnahmen der SPK durchgeführt [2].
Eine detaillierte Beschreibung der zu prüfenden Varianten aus dem Dezember 2012 findet sich → in einem Blogeintrag.
… und die Reaktionen darauf
Staatsminister Neumann gibt eine nicht glücklich klingende Presseerklärung heraus und zaubert eine völlig neue phantastische Prozentzahl aus dem Hut. Er behauptet von dem niemals beschlossenen Traum der Stiftung [1]:
»Die Pläne der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zur Umstrukturierung der Museen mit dem Ziel, für die Bilder der Gemäldegalerie einen angemesseneren Standort anzubieten und die Werke der Klassischen Moderne, die sich leider derzeit zu 80 Prozent im Depot befinden, überhaupt zu präsentieren, werden von den Verantwortlichen der Stiftung seit vielen Jahren verfolgt.«
Auch im Bundestag am 12.9. wiederholt er das [2] und ergänzt zu der Zusage der 10 Mio. € für die Sammlung Pietzsch durch den Haushaltsausschuss:
»hier hätte auch der Berliner Senat tätig werden können; denn immerhin befinden sich diese Museen in Berlin«
Er nennt die Kritik: »zum Teil wider besseres Wissen und kampagnenartig«.
Julien Chapuis, der Leiter des Bode-Museums, behauptet [3]: »We have said 20 times we will not do anything at the expense of the Old Masters«, obwohl er mehrfach das temporäre Eindampfen von Gemälden und Skulpturen befürwortet hat.
Die angeblichen »langjährigen Planungen« werden vom Initiator der Petition, Prof. Hamburger, im Wall Street Journal präzisiert [4]:
Sie waren nur: »an idée fixe among certain past and present members of the foundation. But to speak of a plan is, I think, almost farcical.«
und zur Machbarkeitsstudie sagt er in Spiegel Online [3]:
»One is left to wonder what the need for such a study at this late date says about the years of planning that supposedly took place previously.«
Andreas Kilb findet in der F.A.Z einen Neubau für die Moderne am Kulturforum am interessantesten und sagt dazu [5]:
Das »hat die Preußenstiftung in den vergangenen Wochen immer wieder als undenkbar, als kunstfeindlich und kulturkonservativ abgeblockt.«
Auch Bernhard Schulz im Tagesspiegel findet einen Neubau am Kulturforum gut, meint aber, der Neubau solle nicht, wie früher mal geplant, hinter der Neuen Nationalgalerie entstehen, sondern daneben [6]:
»Die Brachfläche entlang der Potsdamer Straße, Teil des ewig unvollendeten Kulturforums, käme doch ebenfalls in Betracht.« Eine Fläche, »die weder Forum ist noch Liegewiese, sondern einfach nur trostlos.«
Diesen Neubau für die Moderne an der Potsdamer Straße befürwortet Andreas Kilb in der F.A.Z. auch, allerdings befürchtet er [7]:
»Wenn man bedenkt, dass die Experten, die das mit der Erstellung der Studie beauftragte Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung befragt, zum größten Teil in der Direktions-Etage der Preußenstiftung sitzen, kann man sich vorstellen, wie schwer es für das Amt werden wird, eine Alternative zu der unseligen Rochade der Gemäldegalerie zu formulieren.«
Anfang 2013: Staatsminister Neumann schliesst Option »Erst Auszug, dann Neubau« aus …
Staatsminister Neumann hat Anfang Januar 2013 die Forderungen der Gegner der Stiftungspläne übernommen. In einem Interview mit DPA sagte er am 5.1.2013 [z.B. 1]:
»Wenn in der Untersuchung die gemeinsame Präsentation von Alten Meistern mit den Skulpturen des Bode-Museums präferiert wird, sollte der Umzug der Gemäldegalerie erst erfolgen, wenn ein neues Gebäude steht.«
Dies bekräftigte er noch einmal überraschend in seiner Rede zur Eröffnung der Erweiterung der Sammlung Berggruen(!). Am 15.3.2013 sagte er zum Schluss [2]:
»Eines steht jedoch für mich jetzt schon fest: Sollte ein Umzug der Gemäldegalerie in Frage kommen, wird dieser aber nur direkt in einen Neubau erfolgen – von einer Zwischenlösung halte ich gar nichts!«
Interessanterweise hatte er zwei Tage zuvor ein Gespräch mit Stiftungspräsident Parzinger in einer nichtöffentlichen Sitzung des Kulturausschusses des Bundestages [3].
Staatsminister Neumanns Aussagen jetzt sind die 100-prozentige Erfüllung der Forderungen der Harvard-Petition von Prof. Jeffrey Hamburger [4], des Offenen Briefes des Verbandes Deutscher Kunsthistoriker [5], der Erklärung des Verbandes Deutscher Restauratoren [6] und des Fördervereins der Alten Meister, des Kaiser-Friedrich-Museums-Vereins (in dessen Vorstand auch Direktor Bernd W. Lindemann qua Amt sitzt).
Staatsminister Neumann ist auch Vorsitzender des Stiftungsrates der SPK, des beschlussfassenden obersten Aufsichtsgremiums der Stiftung. Es besteht also Hoffnung, dass der Widerstand gegen die Pläne der Stiftung Preußischer Kulturbesitz ein voller Erfolg war, auch wenn Präsident Parzinger und Museums-Generaldirektor Eissenhauer öffentlich noch nicht Abstand von der Variante »Erst der Auszug der Gemälde, dann der Neubau« genommen haben, die ein mehrjähriges Verbannen großer Teile der Gemälde und Skulpturen ins Depot zur Folge hätte.
Mai 2013: … aber ist er nach Verschiebung der Studie noch an der Entscheidung beteiligt?
Mitte Mai erklärte Präsident Parzinger, dass die Studie hoffentlich im Sommer vorliegen werde und dass er noch in diesem Jahr eine Richtungsentscheidung erhoffe [1] [2]. Bisher war vom Frühjahr für die Studie und vom Sommer für die Entscheidung über die Zukunft die Rede. Gründe für die überraschende Verschiebung wurden nicht genannt.
Dies lässt Andreas Kilb in der F.A.Z. die Möglichkeit erwägen, dass die Stiftung Preußischer Kulturbesitz versuche, das Ergebnis der Studie noch im Interesse ihres Zieles, des Umzugs, zu beeinflussen. Er schrieb am 16.5.13: »Seit Wochen gibt es Gerüchte, das Votum der Fachleute werde zugunsten eines Neubaus für die moderne Kunst am Kulturforum ergehen.« Dann könnte die Gemäldegalerie in ihrem Haus bleiben.
Für diese Vermutung sprechen auch zwei Unternehmungen der Stiftung, die ganz klar die Variante des Umzugs propagieren sollten, bevor das Ergebnis der Prüfungen überhaupt vorliegt: einmal die Ende Februar durchgeführte Tagung zur gemeinsamen Präsentation von Gemälden und Skulpturen im erweiterten Bode-Museum [3], zum anderen die im April 2013 fertiggestellten neuen Internetseiten der Staatlichen Museen unter dem völlig irreführenden Namen »www.gemaeldegalerieberlin.de«. Diese Seiten dienen nur der Propagierung des Auszugs der Gemäldegalerie. Interessanterweise steht im Quelltext jeder Seite explizit der Name des Fördervereins der Moderne, nämlich »Verein der Freunde der Nationalgalerie«. Hier ist immer noch die Rede von der Möglichkeit einer Interims-»Lösung«, die eine mehrjährige Depotverbannung großer Teile der Alten Meister zur Folge hätte [4].
Eine Verschiebung der Entscheidung auf Ende des Jahres bietet der Stiftung auch noch den zusätzlichen Vorteil, dass es nach der Bundestagswahl wohl einen anderen Kulturstaatsminister geben wird, der dann qua Amt auch Vorsitzender des entscheidenden Stiftungsrates ist. Eine mögliche Nachfolgekandidatin von Staatsminister Neumann ist die jetzige Vorsitzende des Kulturausschusses des Bundestages Monika Grütters. Diese alte Mitstreiterin Professor Parzingers hat Anfang Mai 2013 ziemlich eindeutig von der B.Z. Berlin erneut ihren Hut in den Ring werfen lassen [5]. Wie die Stiftungsleitung hat auch sie in der Vergangenheit die Interims-»Lösung« verteidigt [6]. Sie hat bisher genauso wenig wie Präsident Parzinger und Generaldirektor Eissenhauer der klaren Absage von Staatsminister Neumann an eine Interims-»Lösung« öffentlich zugestimmt.
30.5.2013