Der Bundestagsbeschluss über 10 Millionen zur Aufnahme der Sammlung Pietzsch im Juni 2012

 

Hier geht es detaillierter um folgende Fragen:

  • Wie kam es zum Bundestagsbeschluss über die 10 Millionen Euro?
  • Was wusste der Haushaltsausschuss bei seiner Entscheidung?
  • Wie wurde den Bürgern das verkauft?

Eine Übersicht:

→ Die Vorgeschichte
→ Der Beschluss vom 12./14. Juni 2012
→ Presseerklärung und »Kommunikationsdesaster«
→ Wie verkauft die Stiftung den Beschluss?
→ Kritische Fragen aus dem Bundestag
→ Erst eine Studie – Aufschub bis zum Frühjahr Jahresende
→ Beschwerden von Abgeordneten über Umgang mit dem Parlament

Die Vorgeschichte

Prof. Eissenhauer, der Generaldirektor der Staatlichen Museen Berlins, berichtete Anfang August 2012 [1]:

»Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, war seit 2010 durchaus verstärkt wegen der Neuordnung der Museen vorstellig geworden: bei Kulturstaatsminister Neumann, der auch Stiftungsratsvorsitzender ist, bei der Vorsitzenden des Bundestags-Kulturausschusses und beim Finanzministerium.« (Vorsitzende des Kulturausschusses ist die stellvertretende Chefin der Berliner Landes-CDU Monika Grütters).

Herr Parzinger selbst bestätigte das in der Anhörung des Kulturausschusses des Berliner Abgeordnetenhauses am 15.10.2012 [2, Seite 5]:

»Natürlich habe ich schon seit etwa zwei Jahren mit dem Bund und den Abgeordneten im Bundestag über dieses Projekt gesprochen«.

Einen Monat vor dem Bundestagsbeschluss vom 14.6.2012 nannte Herr Parzinger überraschenderweise konkrete Jahreszahlen. In einem doppelseitigen Artikel des Berliner Tagesspiegel von Peter von Becker, in dem es eigentlich um die Situation des Kulturforums ging, erwähnte er die alten Pläne mit Auszug der Gemäldegalerie, Einzug des Museums des 20. Jahrhunderts und erhofftem Neubau am Bode-Museum. Dann folgte [2]:

»Präsident Parzinger sagt: ›Mir wäre es am liebsten, wenn wir in der heutigen Gemäldegalerie die neue Galerie des 20. Jahrhunderts mitsamt den Sammlungen Marx und Pietzsch 2015/16 eröffnen könnten.‹ Und die Gemäldegalerie am Kupfergraben? ›Wir wollen die alten Meister natürlich nicht auf Jahre wegsperren‹, meint Parzinger. ›Dazu müssen wir nun stärkeren Zeitdruck aufbauen, aber der Bund weiß im Grunde, dass er mehr dazugeben muss.‹«

Wie konnte Herr Parzinger 4 Wochen vor dem angeblich so überraschenden Bundestagsbeschluss die Hoffnung äußern, in 3 Jahren in den Räumen der Gemäldegalerie das Museum des 20. Jahrhunderts eröffnen zu können? Überraschend waren wohl nicht die 10 Millionen, überraschend war wohl nur, dass sie nicht aus eigenen Stiftungsmitteln aufgebracht werden mussten. Der Sprecher von Staatsminister Neumann, Wolf, sagte laut Tagespiegel Anfang August [3]:

»›Die Stiftung selbst hatte diese zehn Millionen Euro für die ersten Schritte Richtung Umbau ins Auge gefasst, auch weil zunächst keine Zusatzmittel in Aussicht standen.‹ Überraschend sei lediglich die Bewilligung im Nachtragshaushalt des Bundes gewesen, die es der Stiftung erlaube, die Summe nicht aus Eigenmitteln erwirtschaften zu müssen.«

 

Der Beschluss vom 12./14. Juni 2012

Im Bundestag war ein Nachtragshaushalt nötig geworden, vor allem wegen der Milliarden für den Rettungsschirm ESM im Rahmen der Eurokrise. Der Haushaltsausschuss sollte den wichtigen Gesetzentwurf am 12.6.2012 beschliessen, der Bundestag dann am 14.6. darüber abstimmen. Am Abend des 11.6, unmittelbar vor der entscheidendenden Sitzung des Ausschusses, kam plötzlich der Antrag auf den Tisch, den Etat von Staatsminister Neumann um 10 Mio. Euro aufzustocken. Priska Hinz, Berichterstatterin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Haushaltsausschuss [1]:

»Wir wurden im Haushaltsausschuss erst am Abend vor der Abstimmung mit dem Antrag konfrontiert.«

Wofür waren die 10 Mio. Euro? Die Abgeordneten des Ausschusses schrieben in ihrem Bericht zu dem Gesetzentwurf [Bundestagsdrucksache 17/9651]:

»Die zusätzlichen Mittel in Höhe von 10,0 Mio. Euro zur Verstärkung des Bautitels der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zur Aufnahme der Sammlung Pietzsch wurden durch einen neu ausgebrachten Haushaltsvermerk qualifiziert gesperrt.«

Kein Wort von Gemäldegalerie, Auszug der Alten Meister und neuem Museum des 20 Jahrhunderts! Um so bewundernswerter war, dass der Haushaltsausschuss die 10 Mio. Euro zwar beschlossen, aber erst einmal »qualifiziert gesperrt« hat, um von Staatsminister Neumann genauere Informationen anzuforden (Süddeutsche Zeitung, 4.7.2012). »Die Aufhebung der Sperre bedarf der Einwilligung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages« [2]. Die Grünen haben im Haushaltsausschuss als einzige gegen die 10 Mio. Euro gestimmt.

Der Verdacht drängt sich auf, dass man die Abgeordneten des Deutschen Bundestages austricksen wollte mit diesem harmlos klingenden Antrag über eine vergleichsweise niedrige Summe für einen so guten Zweck wie Baumaßnahmen zur Aufnahme der Sammlung Pietzsch, und das so kurzfristig, dass eine Diskussion kaum möglich war. Es sollte hinterrücks der Auszug der Gemäldegalerie erreicht werden, um damit den Zug auf die Schiene zu setzen, der unweigerlich auf die hunderte Millionen Euro teure Neuordnung der Museumslandschaft zurollen sollte. Das ist damals erst einmal von den aufmerksamen Frauen und Männern im Haushaltsausschuss gestoppt worden.

Presseerklärung und »Kommunikationsdesaster«

Die Tinte auf dem Entwurf des Haushaltsausschusses war noch nicht trocken, da enstand der Kommunikations-GAU durch zur Unzeit aufbrechende Diskussionen [1]:

»Ausgelöst hatte die eine CDU-Abgeordnete des Bundestages, die in Berliner Zeitungsredaktionen anrief, um freudig mitzuteilen, dass der Haushaltsausschuss gerade zusätzlich zehn Millionen für die Gemäldegalerie bewilligt habe. Überrascht vom Zeitpunkt der Veröffentlichung waren sowohl der Kulturstaatsminister als auch die Preußenstiftung. Denn eigentlich wollte man den Erfolg selbst verkünden, wahrscheinlich bei einem gemeinsamen Pressetermin mit dem Sammlerehepaar Pietzsch.«

Überraschenderweise wusste diese CDU-Abgeordnete, dass es eigentlich um die Gemäldegalerie ging. Ihre freudigen Mitteilungen hatten zur Folge, dass Kulturstaatsminister Neumann noch an diesem 12.6.2012 eine Presserklärung herausgeben musste, also 2 Tage, bevor der Bundestag überhaupt über den Entwurf abstimmen konnte. [2] Unter dem Titel »Berliner Museumslandschaft: Sammlung Pietzsch zieht ans Kulturforum« war hier nun die Rede vom »ersten Schritt einer geplanten Neuordnung der Berliner Museumslandschaft«, dem Eindampfen von Gemäldegalerie und Skulpturensammlung im Bode-Museum und dem erträumten Neubau:

»Langfristig (deutlich nach 2018) soll in einem Galerieneubau auf den Museumshöfen neben dem Bode-Museum neuer Raum geschaffen werden, um die Werke der Alten Meister im bisherigen Umfang zu präsentieren.«

Am 14.6.2012 beschloss der Bundestag den Nachtragshaushalt »in der vom Haushaltsausschuss geänderten Fassung« [3].

Die wahre Absicht hinter den Worten des Antrags konnte den Abgeordneten des Haushaltsausschusses am 12.6. wohl nicht bekannt gewesen sein. Stephan Speicher berichtete in der Süddeutschen Zeitung (4.7.):

»Ob den Abgeordneten, als sie den Nachtragshaushalt beschlossen, klar war, dass damit ein Neubau verbunden ist, dessen Kosten die Stiftung auf 150 Millionen Euro taxiert? Gesine Lötzsch, im Haushaltsausschuss Berichterstatterin der Linken für den einschlägigen Titel 0405, ist sich da nicht sicher.«

 

Wie verkaufte die Stiftung den Beschluss?

Die Pressemitteilung der Stiftung vom 12.6.2012 trug den Titel: »Parzinger zur Billigung der Haushaltsmittel für den Umbau der Gemäldegalerie«. Dort wurde Herr Parzinger nur mit folgenden Worten zitiert [1]:

»Ich bin über die Entscheidung des Bundestages, den Umbau der Gemäldegalerie im Nachtragshaushalt für 2012 zu berücksichtigen, glücklich und danke Kulturstaatsminister Bernd Neumann für seinen Einsatz. Das ist der entscheidende Durchbruch für eine zukunftsweisende Neuordnung der Berliner Kunstsammlungen. Die großartige Sammlung Pietzsch wird im Kontext einer Galerie des 20. Jahrhunderts der Staatlichen Museen zu Berlin einen hervorragenden Ort erhalten. Und das Kulturforum am Potsdamer Platz wird damit von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zu einem Forum der Moderne ausgebaut. Es ist ein wunderbarer Schritt, um Berlin als Stadt der Moderne international herausragend zu profilieren.«

(Der Bundestag hat natürlich erst am 14.6. abgestimmt.)

Der stellvertende Vorsitzende des Aufsichtsgremiums der SPK, des Stiftungsrates, der Berliner Kulturstaatssekretätr André Schmitz sagte in der Welt/Morgenpost [2].

»Die Bundesregierung hat zehn Millionen Euro zur Verfügung gestellt, damit der lange geplante Umzug der Alten Meister von der Gemäldegalerie am Potsdamer Platz zur Museumsinsel erfolgen kann.«

Generaldirektor Eissenhauer nannte die Entscheidung »eindeutig ein politisches Bekenntnis des Bundes zu unseren Zukunftsplänen.« [3]

Der Leiter des Bode-Museums, Julien Chapuis, geht in einem Brief an die englische Kunstzeitschrift Art Newspaper noch weiter [4]:

»There is now unprecedented support across the political spectrum for the return of the Gemäldegalerie to the Museum Island and for the expansion of the Bode Museum, of which the allocation by the Bundestag of €10m for the refurbishment of the Gemäldegalerie is the clearest signal.«

Auch Staatsminister Neumann behauptete selbst noch nach dem teilweisen Rückzieher der Stiftung vom 11.9.2012 [5]:

»Ich bin den Mitgliedern des Haushaltsausschusses sehr dankbar, dass sie mit der Einstellung von 10 Mio. Euro in den Nachtragshaushalt 2012 die Tür dafür geöffnet haben, langfristig zu einer noch besseren Struktur unseres größten Museumskomplexes in Deutschland zu kommen.«

 

Kritische Fragen aus dem Bundestag

Mittlerweile begann besonders die haushaltspolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen kritische Fragen zu stellen. Die Süddeutsche Zeitung schrieb am 9.8.2012:

»Priska Hinz, Abgeordnete der Grünen, wendet sich mit einer Berichtsanforderung an die Bundesregierung, aus der hervorgeht, dass die politisch Verantwortlichen nicht davon unterrichtet sind, auf welchen Grundlagen die gewaltigen Veränderungen fußen.«

Die Berliner Morgenpost schrieb am 10.8.2012 [4]:

»Jetzt aber gibt es eine zweiseitige Anfrage der Grünen-Bundestagsabgeordneten Priska Hinz – Kulturstaatsminister Neumann bat für die Beantwortung um Fristverlängerung. Es scheint größeren Abstimmungsbedarf mit allen Beteiligten zu geben. Denn das ganze Projekt steht auf finanziell wackligen Füßen.« Frau Hinz fragte auch nach den Details des nicht veröffentlichen Schenkungsvertrages über die Sammlung Pietzsch.

Am 24.8. beschrieb die Morgenpost das Ergebnis [5]:

»›Offenbar herrscht selbst innerhalb der Bundesregierung eine erhebliche Zerstrittenheit, wie die Planung aussehen soll‹, erklärte die Grünen-Haushaltssprecherin Priska Hinz. Sie verwies auf einen von ihr angeforderten Bericht der Bundesregierung, der erst gestern nach ›mehrmaligen Nachfragen‹ und Fristverlängerung beantwortet wurde, ›weil es seitens des Finanzministeriums Vorbehalte gegenüber dem ursprünglichen Bericht‹ des Kulturstaatsministers Bernd Neumann (CDU) gegeben habe.«

In seiner Antwort vom 23.8.2012 bestätigte Staatsminister Neumann, dass es keine Planungen für einen Neubau gab:

»2004 gab es einen städtebaulichen Ideenwettbewerb für die Bebauung der Museumshöfe an der Museumsinsel, in dem (…) der Neubau einer Gemäldegalerie vorgesehen war. Darüber hinaus gibt es derzeit keine weiteren Planungen.«

Und zur Sperre der 10 Mio. Euro hieß es in der Antwort:

»Er wird dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages zum gegebenen Zeitpunkt den konkreten Maßnahmenplan der SPK vorlegen, um die notwendige Entsperrung der Mittel zu bewirken.

Aus der F.A.Z. vom 25.8.2012 wurde deutlich, dass Frau Hinz die Strategie der Stiftung durchschaute:

»Die Zusage von zehn Millionen Euro aus dem Haushalt des Kulturstaatsministers für den Umbau der Galerieräume am Potsdamer Platz habe sich als ›vorauseilender Aktionismus‹ erwiesen, durch den ›Handlungsdruck für einen Neubau in dreistelliger Millionenhöhe‹ erzeugt werden sollte.«

 

Kleiner Rückzieher: Erst eine Studie – Aufschub bis zum Frühjahr Jahresende

Am 11. September 2012 hatten die weltweiten besorgten Proteste und die kritischen Fragen aus dem Bundestag teilweise Erfolg: Die Leitung der Stiftung kündigte an, jetzt erst die Möglichkeiten prüfen lassen und mit den 10 Mio. Euro eine Machbarkeitsstudie in Auftrag geben, die bis zum Frühjahr Sommer 2013 vorliegen soll. Eine Entscheidung solle möglichst im Jahr 2013 getroffen werden. (Näheres dazu in der → Chronik)

Abgeordnete beschweren sich über den Umgang mit dem Parlament

Am 20.1.2013 beschwerten sich Abgeordnete der Grünen aus Kultur- und Haushaltsauschuss bitter über den Umgang mit den parlamentarischen Gremien durch Staatsminister Neumann, den BKM (= Bundesbeauftragter für Kultur und Medien).

Im Antrag »Transparente Kriterien und verbindliche Rahmenbedingungen schaffen« findet sich auf Seite 5 [1]:

Bei der umstrittenen Bewilligung von 10 Mio. Euro unter Sperrvermerk für die Umgestaltung der Alten Gemäldegalerie im Rahmen des Nachtragshaushaltes 2012 in der Sitzung des Haushaltsausschusss am 12. Juni 2012 … wurde der Ausschuss für Kultur und Medien aktuell vor vollendete Tatsachen gestellt. Regelmäßig wurde der Ausschuss für Kultur und Medien in der laufenden Legislaturperiode nur noch zum »Abnicken« bereits vom BKM entschiedener Fördermaßnahmen missbraucht.

und als Forderung für die Zukunft:

Dafür muss der BKM im Vorfeld der ersten und der zweiten Lesung den Mitgliedern des Ausschusses für Kultur und Medien und des Haushaltsausschusses die Haushaltsentwürfe detailliert und in schriftlicher Form vorlegen, um somit eine Beratung noch vor den jeweiligen Abstimmungen zu ermöglichen.

Die Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Kultur und Medien Monika Grütters, CDU, bügelte das bei der Diskussion im Bundestag am 7.6.2013 in einer zu Protokoll gegebenen Rede pauschal ab, die Fakten ignorierend [2, Seite 98 »30912«]:

Sie verlangen die Vorlage der Haushaltsentwürfe »detailliert und in schriftlicher Form«. Wo waren Sie in den vergangenen Jahren? Der Haushalt wird von BKM wie alle anderen auch als umfangreiches Kompendium dargeboten. Der letzte hatte einen Umfang von 213 Seiten. Reicht Ihnen das nicht?

Die Abgeordnete der Linken Lukrezia Jochimsen bekräftigte dort aber [2, Seite 102 »30916«]:

Nach der berühmten Methode »Friss, Vogel, oder stirb« sind wir zum Abnicken geradezu erpresst worden.

23.6.2013

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