Museumsvisionen von Generaldirektor Emeritus Schuster (2014 Edition)

Peter-Klaus Schuster, der ehemalige Generaldirektor der Staatlichen Museen, hat sich wieder zur Zukunft der Berliner Museumslandschaft geäußert.

Er propagiert seinen alten Traum von 1999, mit der Moderne aus der Neuen Nationalgalerie in das Gebäude der Gemäldgalerie am Kulturforum zu ziehen und für die Alte Kunst ein neues Gebäude an der Museumsinsel zu errichten [→Chronik].

Er reichert ihn mit 2 Variationen an:

  • es soll zuerst hinter der Neuen Nationalgalerie ein billiges Interimsgebäude gebaut werden, das kurzfristig Kunst der Moderne aufnehmen kann, bis die Alten Meister in den fertigen Neubau an der Museumsinsel umgezogen sind. Es soll im wesentlichen aus Mitteln der Freunde der Nationalgalerie finanziert werden.
  • der Neubau an der Museumsinsel soll zuerst nur für reine Ausstellungszwecke errichtet werden. Dafür postuliert er, unbelegt, nur Kosten von 140 Mio Euro (statt nachweisbar über 260 Mio. Euro)

Dieser harte Kern seines umfangreichen Textes wird angereichert durch Visionen für 3 zusätzliche Museumsbauten am Kulturforum und die Verlagerung des Kupferstichkabinetts in das Kronprinzenpalais Unter den Linden.

Auffällig ist, dass er die sorgfältigen Aufwands- und Kostenschätzungen der Variantenuntersuchung 2013 ignoriert und systematisch die beträchtlichen Umrüstkosten für die Gemäldegalerie, aber auch für das Bode-Museum unter den Tisch fallen lässt.

Schuster_Visionen_kurzUnd alles wird – wie bei Herrn Schuster üblich – eingebettet in lange Ausführungen über die Museumsinsel an und für sich, Museumsgeschichte, …, und immer wieder Lob für Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Sie war seine Vorgängerin im Vorstand der Berliner »Stiftung Brandenburger Tor«.

Erschienen ist sein langer Text (etwa 40 Normseiten) in der Online-Ausgabe der WELT am 21.4.2014, gleichzeitig erschien eine Kurzfassung in der Print-Ausgabe der WELT (ein Drittel, immer noch eine ganze Zeitungsseite, rechts). Die Zusammenfassung hier bezieht sich auf die ausführliche Fassung. Sie ist in 42 kurze Kapitel gegliedert.

Die Presseerklärung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) vom 21.8.2013 nach Vorstellung der Variantenuntersuchung durch das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) mit Links auf alle Dokumente findet sich →hier.

Am Ende dieses Beitrags gibt es noch meine Kombination des Ergebnisses der Variantenuntersuchung für das Museum der Moderne mit Herrn Schusters Interimsbau.

 

Eine Übersicht:

→ Schusters Bauten und Umnutzungen stichpunktartig
→ Kritik an Richtungsentscheidung und Variantenuntersuchung
→ Interimsbau für die Moderne am Kulturforum und Umrüstung der Gemäldegalerie
→ Neubau an der Museumsinsel ohne »Sekundärfunktionen für nur 140. Mio.…
→ … aber laut Baufachleuten sind es weit über 260 Mio. Euro
→ Mein Vorschlag: Interimsbau + Museum für Moderne an der Potsdamer Straße

Schusters Bauten und Umnutzungen stichpunktartig

Aufeinanderfolgende Schritte:

  1. Provisorischer Interimsbau für Neue Nationalgalerie an Sigismundstraße
  2. Neubau für Alte Meister an Museumsinsel (ohne »Sekundärfunktionen«)
  3. Umzug der Altmeistergemälde an und auf Museumsinsel
  4. Umbau der Gemäldegalerie für Museum des 20. Jahrhunderts
  5. Umzug der Moderne in ehemalige Gemäldegalerie

und irgendwann:

  • Museumsinsel: Ergänzung des Neubaus um Gebäude für Sekundärfunktionen
  • Kulturforum: Neubau für Erweiterung Deutsches Historisches Museum
  • Kulturforum: Neubau Architekturmuseum
  • Kulturforum: Neubau Museum zur deutschen Exilkultur
  • Kulturforum: Kunstgewerbemuseum beschränkt sich auf Moderne
  • Unter den Linden: Kupferstichkabinett zieht in Kronprinzenpalais
  • Kulturforum: Kunstbibliothek nutzt Räume des Kupferstichkabinetts

Kritik an Richtungsentscheidung und Variantenuntersuchung

Die Richtungsentscheidung der Stiftung vom August 2013 [Pressemitteilung] wird von Schuster heftig kritisiert. Sie besagte, dass die Gemäldegalerie bleiben solle, wo sie ist. Ein Erweiterungsbau für die Moderne solle auf dem kleinen Grundstück an der Sigismundstraße (6.500 qm) quasi auf dem Hinterhof der Neuen Nationalgalerie errichtet werden. Viele hatten aber auf einen Neubau für die Moderne auf dem 50% größeren Grundstück direkt an der Potsdamer Straße gehofft (10.000 qm), zwischen der Neuen Nationalgalerie Mies van der Rohes auf der einen Seite und dem Kammermusiksaal Edgar Wisniewskis sowie der Philharmonie Hans Scharouns dahinter auf der anderen Seite. Damit hätte zudem eine abschreckende städtebauliche Wunde geheilt werden können.

Die Variantenuntersuchung [PDF,6.2 MB,S.59] hatte für alle am Kulturforum untersuchten Standorte auf Basis der Anforderungen der SPK identische Kosten von 180 Mio. Euro und ähnliche Bauzeiten um die 10 Jahre ermittelt. Die Stiftung selbst hat danach den Raumbedarf für die Moderne deutlich reduziert. Danach erst wurden die Kosten (von wem?) auf nur noch 130 Mio. Euro heruntergerechnet, unbelegt.

Das Grundstück und damit auch das darauf zu errichtende Museum der Moderne ist laut Schuster viel zu klein. Eine von vielen Bemerkungen dazu [Kap 25]:

»Auf dem zu knappen Grundstück an der Sigismundstraße (…) (kann) kein hinreichend geräumiges Gebäude für die langfristige Zukunft der Nationalgalerie und ihre stets noch anwachsende Sammlung zur Kunst des 20. Jahrhunderts gebaut werden«.

Interimsbau für die Moderne am Kulturforum und Umrüstung der Gemäldegalerie

Das kleine Grundstück an der Sigismundstraße ist aber nach Meinung Schusters gut für die Errichtung eines einfachen Interimsgebäudes geeignet, eines »Schönen Schuppens«. Der wurde schon vor Jahren angedacht durch den Verein der Freunde der Nationalgalerie und wurde damals auf 20 Mio. DM geschätzt. Schuster gibt eine Bauzeit von zwei Jahren an und denkt an eine Realisierung unter

privatwirtschaftlich kalkulierender Regie der Freunde der Nationalgalerie mit finanzieller Unterstützung ihrer Mitglieder und unter Mitwirkung des Bundes.[Kap 28]

Dieser Bau könnte auch die Not der Neuen Nationalgalerie etwas lindern, wenn sie ab 2015 für Jahre saniert werden muss. Zudem könnte er kurzfristig die Sammlung Pietzsch aufnehmen.

Mit den Kosten der Umrüstung der Gemäldegalerie für die Moderne hält Schuster sich nicht lange auf, nach dem Motto: »Eine Gemäldegalerie ist eine Gemäldegalerie«, ob nun für alte oder für neue Bilder [Kap 16]. Umfangreiche bauliche Änderungen müsse es nicht geben. Das erstaunt angesichts des Ergebnisses der Variantenuntersuchung auf Basis der hypertrophen Anforderungen der Nationalgalerie an die Umrüstung: Die Fachleute vom BBR haben Umbau und Einrichtung auf die riesige Summe von 58 Mio. Euro geschätzt. Sie schrieben explizit [PDF, S. 22]:

Es ist jedoch davon auszugehen, dass in großen Teilen ein Rückbau auf den Rohbau und ein komplett neuer Ausbau notwendig sind.

Der Eindruck drängt sich auf, dass Peter-Klaus Schuster den Text der Variantenuntersuchung gar nicht kennt, sondern nur Zusammenfassung und Schlussfolgerungen von Parzinger und Eissenhauer in ihrer »Richtungsentscheidung«, oder sogar nur die Presseerklärung dazu. Aber damit steht er wahrlich nicht alleine unter denen, die sich entschieden zur Museumsneuordnung in Berlin äußern.

Neubau an der Museumsinsel ohne »Sekundärfunktionen« für nur 140 Mio. …

Der Erweiterungsbau für die Alten Meister gegenüber dem Bode-Museum wurde von den Fachleuten des BBR auf 296 Mio. Euro geschätzt (Stand IV. Quartal 2012) [PDF, S. 45]. Das ist eine Zahl, die Schuster entsetzt und die er nicht glauben will. Sein vermeintlicher Rettungsanker ist die Tatsache, dass in den geschätzten Kosten auch Kosten für sogenannte »Sekundärfunktionen« enthalten sind:

Laut »Masterplan Museuminsel«, der 1999 vor dem Amtsantritt Peter-Klaus Schusters vom zuständigen Stiftungsrat beschlossen wurde, sollen technische und Verwaltungsfunktionen aus den Häusern der Museuminsel abgezogen und in einem neu zu errichtenden Gebäude in der Nähe konzentriert werden, um die Häuser auf der Insel allein für Ausstellungszwecke nutzen zu können. Die noch nicht realisierten Auslagerungen sollten jetzt sinnvollerweise zum Teil in den geplanten Neubau für die Alten Meister integriert werden. Deshalb sind sie in den geschätzten Kosten von 296 Mio. Euro enthalten.

Schuster schreibt emphatisch [Kap 30]:

In der veranschlagten Gesamtsumme von 300 Millionen Euro für einen Neubau auf dem Kasernengelände werden also Äpfel und Birnen zu einer abschreckenden Riesensumme zusammengerechnet. Einerseits sind es die Sowieso-Kosten für die Vollendung des Masterplans und andererseits sind es die wirklichen Neubaukosten für eine notwendige Erweiterung des Bode-Museums im Falle der Rückkehr der Alten Meister. Berücksichtigt man diesen feinen Unterschied, so ergeben sich nach Meinung von Kennern der Materie etwa 140 Millionen ganz ausschließlich für diesen Erweiterungsbau des Bode-Museums zur vollständigen Präsentation der Alten Meister auf der Museumsinsel.

Aus dieser Rechnung ergibt sich, dass die Sekundärfunktionen dann die restlichen 160 Mio. Euro kosten müssen, deutlich mehr als das Museum für eine Weltklassesammlung. Man wüsste gerne, wer wohl die ominösen »Kenner der Materie« sind, die so rechnend auf 140 Mio. Euro gekommen sind.

… aber laut Baufachleuten sind es weit über 260 Mio. Euro

Peter-Klaus Schuster hat aber in seiner entrüsteten Argumentation übersehen, dass die Fachleute des BBR bei jeder einzelnen Variante ausdrücklich erwähnt haben, ob die Sekundärfunktionen in den geschätzten Kosten enthalten sind oder nicht. Ja, sie haben die Kosten für die Sekundärfunktionen, wenn sie als separater Neubau errichtet würden, sogar explizit quantifiziert: [PDF, S. 74]

Die Kosten für einen Neubau einschl. Ersteinrichtung für diese Nutzungen, für die gemäß Nutzeranforderungen bzw. Raumprogramm 6.735 m² NF anzusetzen sind, liegen bei einer Größenordnung von ca. 38 Mio. Euro.

Also sind weniger als 38 Mio. Euro durch einen Verzicht zu sparen. Denn wenn die Sekundärfunktionen in einen eh zu errichtenden Neubau integriert werden können, sind die Kosten deutlich geringer als die geschätzten 38 Mio. Euro für einen separaten Neubau. Diese Kosten reduzieren sich weiter, da von den insgesamt 6.735 m² Sekundärfunktionen nur 2.905 m² im Neubau realisiert worden wären, bei insgesamt 18.366 m² Nutzfläche [PDF S. 12]. Daraus folgt, dass der Neubau ohne Sekundärfunktionen immer noch mit weit über 260 Mio. Euro anzusetzen ist.

Schuster erwähnt zudem mit keinem Wort die Kosten für die Umrüstung des Bode-Museums, das ja die empfindlichen mittelalterlichen Gemälde und die Gemälde der südeuropäischen Schulen ab der Renaissance aufnehmen soll. Die Herrichtung des Bode-Museums wurde von den Fachleuten des BBR aber auf knapp 20 Mio. Euro geschätzt. [PDF,S. 45]

Damit würde der Umzug der Alten Meister auf die Museumsinsel ohne Kosten für die Sekundärfunktionen weit über 280 Mio. Euro kosten (Stand IV. Quartal 2012), statt der von Peter-Klaus Schuster locker in den Raum gestellten 140 Mio. Euro.

Ziel von Schusters Zahlenmystik war offensichtlich, von seinem Uralttraum des Umzugs auf die Museumsinsel sagen zu können [Kap 30]:

Das ist wenig mehr als die Summe, die man in dieser Variantenuntersuchung für eine völlig unzureichende Erweiterung der Neuen Nationalgalerie an der Sigismundstraße auszugeben gedenkt.

Deren Erweiterung war vom SPK-Präsidenten Parzinger und Schusters Nachfolger Eissenhauer mit 130 Mio. benannt worden. Zu den über 280 Mio. Euro an der Museumsinsel kommen aber auch noch die immensen Umrüstkosten für die Herrichtung der Gemäldegalerie für die Moderne sowie die Bundeszuschüsse zu Schusters neuem Interimsbau an der Sigismundstraße. Damit kosten seine Pläne weit mehr als das Doppelte des abgemagerten Baus für das Museum des 20. Jahrhunderts an der Sigismundstraße und immer noch dramatisch mehr als die 180 Mio. Euro, die in der Variantenuntersuchung für ein Museum des 20. Jahrhunderts mit dem ursprünglichen Raumbedarf an jedem der möglichen Standorte am Kulturforum berechnet wurden.

Mein Vorschlag: Interimsbau + Museum für Moderne an der Potsdamer Straße

Ich habe auch noch eine Vision anzubieten: Warum kombiniert man nicht Herrn Schusters Idee des Interimsbaus hinter der Neuen Nationalgalerie mit dem städtebaulich so dringend ersehnten Museumsbau direkt an der Potsdamer Straße?

Kurzfristig wird durch den Verein der Freunde der Nationalgalerie der Interimsbau errichtet, um die dringendsten Nöte der Neuen Nationalgalerie etwas zu lindern und die Sammlung Pietzsch aufzunehmen.

Damit hat man Zeit gewonnen, um einen sorgfältigen Wettbewerb für ein herausragendes Museum des 20. Jahrhunderts an der Potsdamer Straße durchzuführen, um das Kulturforum endlich zu einem Forum zu machen. Alle noch offenen Grundstücks- und Baurechtsfragen können währenddessen in Ruhe geregelt werden.

Damit sind die Probleme der Moderne deutlich billiger behoben als in Schusters Vision. Den Kosten von 180 Mio. Euro für ein Museum an der Potsdamer Straße stehen in Schusters Vision aufwändige Umrüstkosten für die Gemäldegalerie und mehr als 280 Mio. Euro für Umrüstung des Bode-Museums und Neubau für die Alten Meister gegenüber. Und das Kulturforum wäre endlich vollendet. Allerdings müssten die finanzkräftigen Freunde der Nationalgalerie etliche Millionen bereitstellen.

Soweit entspricht das dem Ergebnis der Variantenuntersuchung, die eine Präferenz für diesen Standort des Museums für die Moderne erkennen ließ, angereichert durch Herrn Schusters Interimsbau.

Wenn irgendwann der Wunsch immer noch da ist und das Geld vom Bund auch dafür bereit steht, könnte für die Alten Meister ein Erweiterungsbau gegenüber dem Bode-Museum gebaut werden und die Gemäldegalerie zieht um. Vielleicht nimmt sie aus dem Kunstgewerbemuseum die Schatzkunst der Mittelaltersammlung mit dem Welfenschatz im Zentrum mit. In die dann leere Gemäldegalerie könnten Herrn Schusters drei neue Kulturforums-Museen einziehen.

Und dann sind fast alle glücklich: Das Kulturforum ist Zentrum der Moderne, die Gemäldegalerie ist wieder am ihr angeblich »einzig zukommenden historischen Ort« und die große städtebauliche Wunde in der Nähe des Potsdamer Platzes ist nach Jahrzehnten endlich geheilt. Nur das Kupferstichkabinett bleibt mit seinen Altmeisterschätzen etwas einsam zurück. Aber dafür hatte Herr Schuster ja auch schon eine Idee.

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